Christof Hamann | |||
Zwischen Normativität und Normalität | |||
Zur diskursiven Position der ›Mitte‹ in populären Zeitschriften nach 1848 | |||
(Diskursivitäten, Bd. 18) |
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Die diskursive Konstruktion eines Raums der ›Mitte‹ zwischen den Extremen, eines Raums der Familie und der Heimat, des Ausgleichs, der Stabilität und der Mäßigung erfolgt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch zwei gegenläufige Strategien: eine erste, die die Spanne zwischen den Extremen möglichst gering zu halten trachtet und zu Normen tendiert, und eine zweite, die die Bandbreiten des jeweils Möglichen erweitert und auf die flexible Selbstnormalisierung der Subjekte setzt. Für diese Konstruktion sind insbesondere die sich nach 1848 in den deutschen Ländern etablierenden und schnell an Einfluss gewinnenden Familienzeitschriften und Romanzeitungen zentral. Aus der Positionierung dieses Mediums zwischen Normativität und Normalität resultiert, dass sich diese Zeitschriften nicht einfach als ›konservativ‹ oder ›reaktionär‹ charakterisieren lassen und ebenso wenig dem ›bloßen‹ Zeitvertreib und der Entspannung dienen. Vielmehr findet in ihnen Wissensvermittlung auf eine komplexe, zugleich normative wie normalisierende Weise statt, in der die Kategorie der ›Mitte‹ unterschiedliche und zum Teil sogar widersprüchliche Realisierungen erfährt. Diese spezifische Form der Wissensproduktion und -vermittlung untersucht die vorliegende Studie vor allem im Hinblick auf die deutsch-französischen Beziehungen und die USA-Migration. Neben journalistischen Texten stehen dabei repräsentative literarische Werke, unter anderem von Theodor Fontane, Eugenie Marlitt, Karl May, Balduin Möllhausen, Friedrich Spielhagen und Wilhelm Raabe, im Fokus. Die Analyse von Erzählungen Marlitts, Raabes u.a. im Kontext des Massenmediums zeigt, dass die Grenzen zwischen sogenannter ›eigentlicher‹ und Unterhaltungs-Literatur durchlässig sind, und vor allem, dass die populären Zeitschriften nicht mehr als Widerpart, sondern als genuiner Teil des Literatursystems ›Realismus‹ zu verstehen sind. Christof Hamann ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln. |
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