Klaus Hentschel | |||
Die Mentalität deutscher Physiker in der frühen Nachkriegszeit (1945-1949) | |||
(Studien zur Wissenschafts- und
Universitätsgeschichte; Band 11) 2005, 192 Seiten, Brosch., Abb. € 24,80 ISBN 3-935025-80-7 |
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Das mentale Feld
im Deutschland der Jahre nach 1945 war von Unsicherheit und Mißtrauen
gegenüber den Alliierten, von Verbitterung angesichts der materiellen
Lebensumstände, von Selbstmitleid und der Abstumpfung gegenüber
dem Leid anderer geprägt. Spezifisch für die Gruppe der Physiker
war die Klage über den nicht immer ganz freiwilligen »Gelehrtenexport«,
die massiven Forschungsbeschränkungen gerade in der Kernphysik und
die durch die Aufspaltung Deutschlands in vier voneinander abgeschottete
Zonen hervorgerufene künstliche Isolation der Forschenden.Ungleichbehandlung
aufgrund der unterschiedlichen Besatzungspolitik in diesen vier Zonen
förderte zusätzlich den Unwillen über das »Entnazifizierungsunheil«
(Hahn 1947). Weit verbreitet war das Gefühl, sich in einer verkehrten
Welt zu befinden, in der nach nicht nachvollziehbaren Wertmaßstäben
geurteilt und gerichtet wird. Ein auffälliges Unvermögen, sich
in die andere Seite hineinzuversetzen, erschwerte die Kommunikation mit
Emigranten und alliierten Besatzungsoffizieren. Aus der verbreiteten Distanz
gegenüber den Alliierten erklärt sich auch die für die
Moderne untypische Einheitlichkeit der Mentalität der unmittelbaren
Nachkriegsjahre, die es in dieser Form zumindest unter Physikern weder
früher noch später gegeben hat. Die disziplininternen Grabenkämpfe
etwa zwischen Theoretikern und Experimentatoren, Preußen und Süddeutschen,
wie sie die Weimarer Republik gekennzeichnet hatten, verschwanden hinter
dem alles überlagernden Grundkonflikt mit den ›Besatzern‹.
Nur in wenigen Extremfällen wurden Vertreter des Fachs als ›schwarze
Schafe‹ ausgegrenzt, alle anderen mit ›Persilscheinen‹
versehen und reintegriert. Die vielfach durchaus empfundene Scham angesichts
der im Namen des deutschen Volkes begangenen Verbrechen wurde nicht offen
zum Ausdruck gebracht. Eine ernsthafte und wirksame ›Entnazifizierung‹
war unter diesen Vorzeichen von Wirklichkeitsflucht und Verdrängung,
von Aufrechnung eigenen Leids gegen das fremde und der Weigerung bzw.
Unfähigkeit zu trauern zum Scheitern verurteilt.
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