Die prinzipielle
Frage nach der Abhängigkeit der Geisteswissenschaften von außerwissenschaftlichen
Bedingungen hat weder an wissenschaftsgeschichtlicher Brisanz noch an medialer
Präsenz verloren. Die kontroversen wissenschaftlichen und feuilletonistischen
Debatten der jüngeren Vergangenheit über die Rolle der geisteswissenschaftlichen
Fächer in den beiden deutschen Diktaturen legen indes den Verdacht
nahe, dass voreilige Generalisierungen den vielfältigen Verknüpfungen
von wissenschaftlicher Eigenlogik mit außer- und überfachlichen
Logiken nicht gerecht werden können. Sowohl die in diversen Abwandlungen
immer wiederkehrende Betonung der Eigenlogik einer sich selbst steuernden
Wissenschaft, als auch die pauschale Degradierung der Wissenschaft zur allzeit
willfährigen »Magd der Politik« verfehlen die historisch
komplexe Gemengelage aus feldspezifischem (möglicherweise auch individuellem)
Eigensinn, (Selbst-)Anpassung und Zwang. Die im vorliegenden Band versammelten
Studien, die auf eine von den Herausgebern im Herbst 2002 im Rahmen des
wissenschaftsgeschichtlichen Forschungsprojektes »Semantischer Umbau
der Sprach- und Literaturwissenschaften in Deutschland nach 1933 und nach
1945« an der Universität Siegen veranstaltete Tagung zurückgehen,
sollen zu einer präziseren Rekonstruktion dieses für die Geisteswissenschaften
existenziell bedeutsamen Verhältnisses von innerdisziplinären
Entwicklungsbedingungen und außerfachlichen bzw. wissenschaftsexternen
Einflußfaktoren beitragen. Sie gehen insbesondere am Beispiel der
Sprach- und Literaturwissenschaften in Deutschland der Frage nach, wie diese
zentralen geisteswissenschaftlichen Fächer auf die politisch-gesellschaftlichen
Umbrüche und Systemwechsel im Laufe des 20. Jahrhunderts reagieren,
welche Anstrengungen sie unternehmen, um sich – im vollen Bewußtsein
ihrer eigenen »Resonanzabhängigkeit« – auf den Wandel
der sozialen und politischen Systeme einzustellen, und vor allem wie sie
ihre semantischen Bestände, ihre Redeweisen umbauen. Damit sind zugleich
zentrale weiterführende Fragestellungen angesprochen, die die neuere
Wissenschaftsforschung bewegen. |