Zahlreiche deutschsprachige
Autoren – berühmte und weniger berühmte – des 20. Jahrhunderts
haben in ihren Texten an die alten Mythen der Wiedertäufer und Heilsbringer,
des Kinderkreuzzugs, des Rattenfängers und des geschundenen Marsyas
angeknüpft. Es entstand so eine umfangreiche kulturkritische Sezessionsliteratur,
in deren Licht die Moderne als ein Prozeß der Regression und der Re-Mythisierung
erscheint. B. Dückers Buch untersucht die Funktion dieser Mythen, ausgehend
von ihren Entstehungsgeschichten in Antike und Mittelalter, unter den Gesichtspunkten
der Konflikt- und Zeitgestaltung. Es sind die Konflikte zwischen einer gegebenen
Ordnung und deren Widersachern, die sich von jeder Mitgestaltung ausgeschlossen
fühlen und sich daher an anderen als den geltenden Vorstellungen über
gesellschaftliche Räume und Zeiten orientieren. Erlösungsbedürfnis
und Massenwahn, die nicht selten auf eine charismatische Führerfigur
fixiert sind, träumen in diesen Fällen von einer oppositionellen
Bewegung, die den »reinen« Anfang einer anderen Ordnung setzen
will: eine neue Zeit und einen neuen Sozialraum. Ausführliche Textanalysen
gehen dem Zusammenhang dieser Literatur mit dem Mentalitätswandel der
Deutschen nach. Präzise Analysen der Schlüsselbegriffe – z.B.
»Mythos« und »Zeit« - erleichtern das Verständnis
der in diesem Buch entfalteten Interpretationsthesen. Kontextuelle Einblicke
in eine große Zahl von Paralleltexten der theoretischen, der politischen
und soziologischen Literatur des 20. Jahrhunderts geben dem Buch die Weite
eines gesellschaftsgeschichtlichen Panoramas. |